1900

1987 (Rückbau 2017)
UMBAU UND AUSSTATTUNG EINER GASTRONOMIE

Planung von Frank Dölle und Manuel Alvarez 

… „Sie standen Rücken an Rücken im ,1900` dem schicken Treffpunkt der Boheme, der älteren und der jüngeren. Letztere mochte sich nicht als Boheme verstehen, weil es ihr bitterernst war mit dem Künstlertum, sie sahen sich als Avantgarde. Düstere Jungs, Melancholie und Misstrauen in trotzigen Gesichtern. Verdacht. Wer fest angestellt war, könnte ein Spitzel sein. Der Verdacht schuf Abstand auf engstem Raum. Schuf Distinktion: Wir sind anders! Schuf Abgewandtheit. Feindschaft fast. Die Berührung war unvermeidbar, das 1900 überfüllt, die Wirtsleute mussten den Eingang mit einer Kette absperren. Alte Boheme, junge Boheme – sie standen Rücken an Rücken, ohne sich zu berühren. Kalte Blicke. Irritierende Blicke. „Berührung ist nur eine Randerscheinung“. Die Poesie des Untergrunds war die Poesie der verlorenen Kinder. Sie waren in der Erstarrung aufgewachsen, hatten niemals einen Aufbruch erlebt. Ihre Werke wurden kaum gedruckt., weil das System ihnen übelnahm, dass sie sich nicht für das System interessierten. (…)

In der aufgeladenen Atmosphäre des 1900 hatte man das Vorbeben einer Zeitenwende gespürt, die Ahnung einer Revolution, die niemals kommen würde. (…)

Das 1900 war auch das Lokal der Westkorrespondenten, sie zählten zu den Stammgästen und wurden immer mehr. „Wir saßen ohne Illusionen am Prenzlauer Berg wie in einem Transitraum. Die einen wollten weg, per Ausreiseantrag … sie verstanden Westdeutschland als Tor zum Amazonas. Und die anderen wollten unbedingt dableiben, den Arsch am Prenzlauer  Berg und im Kopf Utopia“, hat Frank Castorf später festgestellt. …

Jutta Voigt „Stierblutjahre – Die Boheme des Ostens“

Aufbau Verlag Berlin 2016

… „In jenem kurzen Winter der Anarchie verwandelte sich der Prenzlauer Berg in einen wahren Kessel bürgerbewegter Kreativität. (…)

Ein besonderes Kapitel der jüngeren Kiezgeschichte ist der Kneipenboom. Allein südlich der Dimitroffstraße, zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee, lassen sich inzwischen auf einem halben Quadratkilometer 45 Lokale zählen.

Auch wenn die eigentliche Keimzelle des Szene-Wesens in diesem Revier, die schon 1987 eröffnete ,Restauration 1900` mit einer verblüffenden Mischung aus Gründerzeitnostalgie und Techno-Ambiente ganz andere Zeichen gesetzt hatte, waren die späteren Kneipengründer zu solcherart Designaufwendungen nicht bereit. …

Wolfgang Kil „Cola für Alle – die Kneipenwelt am Prenzlauer Berg“

Bauwelt 11 / 1994

Bild 2 und 4: Foto © Klaus König  aus „Farbe & Raum“ Heft 4/87 Verlag für Bauwesen Berlin